[Storytime] Amokalarm an meiner Schule – wieso ich „Was wir dachten, was wir taten“ empfehle

Was wir dachten was wir taten Lea-Lina Oppermann Buch Cover Beltz & Gelberg Amoklauf Amokalarm

Ich sitze im Unterricht, es ist die erste oder zweite Stunde an einem Dienstag. Ziemlich früh jedenfalls und wir sind alle noch nicht ganz wach. Als mein Deutsch- und Politiklehrer reinkommt, merke ich nicht sofort, dass etwas anders ist. 

Mein Lehrer ist der Typ Bärchen, der der einfach nur total lieb ist und der, der den Schülern eine gute Zeit und ein gutes Gefühl gibt. Der Unterricht mit ihm ist nicht so wichtig für mein Zeugnis weil es in meiner Ausbildung andere Hauptfächer gibt, trotzdem mach ich ihn gerne weil mein Lehrer so eine gute Laune ausstrahlt.

Heute ist das anders.

Heute ist er nervös.

Er geht zu seinem Pult, ist zittrig, sein Blick geht hin und her. Er legt sein Handy auf den Tisch. Das ist der Moment, wo ich in meinem Unterbewusstsein merke, dass irgendwas anders ist an diesem sonnigen Morgen.

Als mein Lehrer mit zittrigen Händen sein Handy auf das Lehrerpult legt, tief durchatmet und dann etwas zu uns sagt, weiß ich: Hier stimmt gerade gar nichts!

Er sagt: „Ich muss heute mein Handy laut schalten, es tut mir leid, ich mache das normalerweise nicht.“

Alle Augen sind auf ihn gerichtet. Er redet nicht laut aber wir merken alle die Spannung.

„Wenn dieses Handy gleich klingelt dann legt ihr euch alle sofort unter die Tische.“

Diesen Moment werde ich niemals vergessen.

Diesen Moment, als uns wohl allen klar wurde, was das bedeutet, was er da sagt. Dass es bedeutet, dass der Code an unserer Schule, der sich „KOMA“ nennt, im Lehrerzimmer besprochen wurde. KOMA, das ist das Palindrom zu AMOK und wenn die Situation nicht so heikel wäre, könnte man über diesen Wortwitz schon fast lachen.

Zu lachen ist an diesem Tag aber niemandem zu Mute.

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Wieso erzähle ich euch diese Geschichte heute? 

Weil ich noch genau weiß, was ich für eine Angst in diesen Momenten hatte. Ich saß direkt an der Tür. Ich wäre die erste Schülerin gewesen, die der Amokläufer an der Tür gesehen hätte. Ich erinnere mich noch gut an einen heftigen Windstoß, wo die Tür fester in den Rahmen gedrückt wurde, was einen Knall verursacht hat. Nicht nur ich hatte in dieser Sekunde ganz andere Gedanken als an einen Windstoß, wir dachten vermutlich alle, dass dieser Tag in genau dem Moment zum größten Albtraum wird.

Dieser Tag ist jetzt schon einige Jahre her aber ich vergesse ihn nicht.

 

Wir hatten Glück, es ist nichts passiert. Der Amokläufer war kein Amokläufer. Es war ein Schüler, der am vorangegangenen Freitag der Schule verwiesen worden war, nachdem er einem Lehrer gedroht hatte, er wäre der erste den er abknallt.

 

Der Schüler war an diesem Morgen trotz Verweis mit einem Rucksack auf dem Schulhof gesehen worden. Er hat an diesem Tag nichts getan und ich weiß auch nicht, ob er das jemals wirklich vorhatte. Ich kenne ihn nicht und weiß auch seinen Namen nicht.

Die Polizei war vor Ort, wir durften alle gehen und wurden vom Unterricht am Rest des Tages befreit, die Situation entschärfte sich relativ schnell. Ich weiß nicht mehr wie lange es dauerte, 2 Stunden vielleicht? Das waren 2 Stunden, die ich in den kommenden Wochen Nacht für Nacht wiedererlebte.

 

Ich erzähle euch diese Geschichte heute, weil ich „Was wir dachten, was wir taten“ gelesen habe und dieses Buch die Geschichte weitererzählt. Was ist, wenn wirklich der Amokläufer vor der Tür steht? Wenn er dich zwingt, Dinge zu tun, die deine größten Geheimnisse offenbaren? Was, wenn du wirklich Angst um dein Leben haben musst und in einem Klassenzimmer eingesperrt bist?

Ich finde es wirklich großartig, wie Lea-Lina Oppermann das Thema in ihrem Buch verarbeitet hat. Denn auch sie hatte einen Fehlalarm an ihrer Schule und für ihre Geschichte, die zuerst den Namen „Die Wahrheit und wir“ trug, gewann Oppermann den Hans im Glück Preis. Wie ich finde, absolut zu Recht. 

 

Natürlich kann man in 180 Seiten niemals dieses Thema von allen Seiten beleuchten. Das bedrückende Gefühl und das Gedankenexperiment aber kann man gut nachvollziehen.

Ich lege euch „Was wir dachten, was wir taten“ absolut ans Herz und freue mich, wenn ihr auch bei meiner Rezension vorbeischaut.

An meiner Schule war es nur ein Amokalarm aber es gibt genug Schüler, die diesen Albtraum am eigenen Leib erfahren mussten und nicht nur mit einem Schrecken davon gekommen sind.

Achtet auf euch und eure Mitmenschen. Man weiß nie, welche spitze Bemerkung einen Menschen tiefer trifft, als ihr es wollt.

Seid aufmerksam und behandelt eure Mitmenschen so, wie ihr selbst behandelt werden möchtet.

3 Gedanken zu „[Storytime] Amokalarm an meiner Schule – wieso ich „Was wir dachten, was wir taten“ empfehle

  1. Mega krass, dass du das nach so einer Erfahrung trotzdem lesen kannst. Ich kann mich bis heute nicht gut in Banken aufhalten, oder so Situationen im tv sehen oder in Büchern lesen.
    Aber es klingt auch so mega mega interessant….. aaaah, vllt kauf ich es mir einfach.

    1. Stephi 🙂 Wie schön, dass du schreibst ♥
      Die Sache mit der Bank… boa wie lang hab ich daran nicht mehr gedacht! Ich glaub dir sofort, dass du da immernoch Probleme mit hast!
      Ich muss aber auch sagen, dass mich solche Amok-Sachen im TV oder so mehr angreifen als in Büchern. Von Filmen werde ich generell schlimmer getriggert.

      Das Buch wurde mir von ein paar Freunden total empfohlen und ich habs jetzt auch nicht bereut, ich find es echt gut. Wird auch als Schullektüre empfohlen 🙂

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